„Cosmo ist doch kein gefährlicher Hund!“, meinte mein Mann, als er mir beim Schreiben dieses Posts über die Schulter sah und dass ich auf jeden Fall über die Abstufungen von Gefährlichkeit etwas sagen sollte. Denn umgangssprachlich verstehen wir Menschen unter Gefährlichkeit, die Unberechenbarkeit eines Hundes in jeder Situation.

Gefährlichkeit hat viele Facetten.

Ich will mit diesem Beitrag weder meinen Hund stigmatisieren noch Hundeangst schüren. Es ist mir wichtig, dass wir über die Risiken unseres Zusammenlebens mit Hunden offen sprechen, ohne sie zu dramatisieren und nach Verantwortlichen zu suchen.

Es gibt nicht nur entweder gute Hunde oder böse Hund.

Für Hundehalterinnen von gefährlichen Hunden ist es nämlich oft ein Spießrutenlauf zwischen den Extremen, dass in ihrem Hund entweder die böse Bestie gesehen wird, die man massiv begrenzen muss – auch mit Gewalt – oder einen armen Kerl, dem nicht das nötige Vertrauen von seiner Halterin entgegengebracht wird. Ich habe selbst erlebt, wie schwierig es ist, den eigenen Hund im Spannungsfeld zwischen „harter Hand“ und Schuldgefühlen souverän und sicher zu führen.

Stereotype prägen unser Bild von „gefährlichen Hunden“

Dabei weiß jede Hundehalterin, dass der eigene Hund zur Gefahr werden könnte und/oder dass andere Hunde zur Gefahr werden könnten und hat schon gefährliche Situationen erlebt. Doch wenn wir an „gefährliche Hunde“ denken, dann denken wir nur häufig nur in Stereotypen, sehen zähnefletschende Monster vor uns, die aufeinander losgehen oder Menschen jagen.

Der Begriff weckt sofort Assoziationen mit tödlichen Beißvorfällen.

Nach dem tödlichen Angriff zweier Hunde auf ein Kind in Hamburg im Jahr 2000 reagierte der Gesetzgeber und erließ das Hundeverbringungs- und Einfuhrgesetz. Damit sollen die Bürger*innen besser vor Hundeangriffen geschützt werden. Nur Kampfhunde, Kreuzungen sowie Mischlinge werden in diesem Gesetz als „gefährlich“ bezeichnet und deren Einfuhr nach Deutschland, deren Zucht und Handel verboten. Dadurch dass der Gesetzgeber die Haltung dieser Hunde sehr strikt regelt, ist in vielen Köpfen das Bild vom „gefährlichen Hund“ gleichgesetzt mit diesen Rassen.

Hundehaltung ist immer mit Risiken verbunden.

Hunde sind domestizierte Raubtiere. Sie sind u.a. darauf spezialisiert, Beute zu fangen und zu töten. Je nach Gewicht und Körpergröße können sie, auch ohne dass sie es beabsichtigen, Unfälle bzw. „Umfälle“ provozieren. Ihre Haltung ist immer mit Risiken verbunden. Doch der größte Risikofaktor, den wir oft unterschätzen, das sind wir Menschen.

Wir sind uns der Gefahr oft gar nicht bewusst.

Als Cosmo, mein Hund, gerade ein Jahr alt war, wohnten wir noch in einem Mehrparteienhaus in der Stadt. Hier kam es zu einem einschneidenden Erlebnis. Wir wollten gerade aus der Haustüre nach draußen treten, als die Nachbarin um die Ecke bog und ins Haus gehen wollte. Cosmo erschrak und verbellte die Frau. Sie war mir als „Hundeliebhaberin“ bekannt. Ich dachte, sie weiß, was zu tun ist.

Bis der eigene Hund jemanden gebissen hat.

Doch dann machte sie einen fatalen Fehler und ich war nicht schnell genug, es zu verhindern. Sie beugte sich über ihn, wohl um ihn zu besänftigen und drängte ihn damit in die Ecke des sowieso schon recht schmalen Eingangsbereichs. In diesem Moment ging mein Hund an der Seite vorbei und biss ihr in die Fessel. (Ich hätte auch zwicken schreiben können oder schnappen, aber wenn ein Hund seine Zähne einsetzt, dann ist das Beißen.)

Ein Schock für alle Beteiligten

Ich war total schockiert und habe mich tausendmal entschuldigt. Mein Herz klopfte wie verrückt. In den nachfolgenden Stunden war ich wie paralysiert. Meine größte Sorge war, dass ich angezeigt werden würde und meinen Hund abgeben muss. In der Realität zeigte sich die Nachbarin verständnisvoll. Sie hatte nur einen Kratzer. Von einer Anzeige war nie die Rede. Doch die Beziehung zu meinem Hund war nachhaltig gestört.

Diese Situation darf sich nicht wiederholen!

Als ich das Erlebte in der Hundeschule mit meinem Hundetrainer besprach, lachte dieser und meinte: „Hunde beißen halt. Dein Hund ist nicht gefährlich.“ Woanders bekam ich zu hören: „Du musst ihm halt vertrauen, dann passiert schon nichts.“ Das waren nur leere Floskeln für mich. Ich hatte wirklich große Sorge, dass sich diese Situation wiederholt und wollte es um jeden Preis verhindern.

Mein Hund kann gefährlich werden.

Mein Hund Cosmo ist ein Podenco-Mix. Spanische Windhunde und Mixe stehen auf keiner Rasseliste und er selbst ist kein furchteinflößender Zeitgenosse. Seinem hübschen, zarten Erscheinungsbild und seinem Auftreten nach würde man ihn auch nicht als bösartig oder aggressiv bezeichnen. Und doch hat er das Potential in bestimmten Situationen gefährlich für andere Menschen zu sein.

Niemand hört auf mich!

Nach dem Vorfall im Hausflur hatte ich deshalb alle Mühe damit, meinem Umfeld zu erklären, warum ich in bestimmten Situationen vorsichtiger wurde, meinen Hund nicht mehr von jedem anfassen ließ und Abstand hielt von fremden Menschen. Zu den Schuldgefühlen wegen des Beißvorfalls gesellten sich nach und nach Selbstzweifel. Da mein Hund im Hundetraining super funktionierte, wurde der Fehler bei mir und bei meiner Vorsicht gesucht und so hörte ich immer wieder: „Du darfst keine Angst haben!“

Eine professionelle Verhaltensanalyse gibt Aufschluss.

Ich war verwirrt: Lag ich so falsch mit meiner Einschätzung? Konnten alle anderen meinen Hund besser einschätzen als ich? Wie gefährlich ist mein Hund wirklich? Ist meine Angst übertrieben? All diese Fragen haben mich sehr beschäftigt. Der Wendepunkt war ein Hundetrainerseminar zur Körpersprache und Kommunikation von Hunden in der die Referentin Angelika Meister von der Hundeschule Circle of Life bei der Videoanalyse meine Einschätzung bestätigte.

Anzeichen für innere Konflikte im Ausdrucksverhalten erkennen

Nur in der Zeitlupe konnte man es deutlich sehen, wie sich bei meinem Hund innere Konflikte im Ausdrucksverhalten zeigen, z. B. in durchgedrückten Hinterläufen, einer Bürste auf dem hinteren Rücken und am Winkel des Rutenansatzes. Es waren alles Nuancen, die nur ein geschulter Blick erkennen konnte.

Die Anspannung baut sich langsam auf.

Wir fanden auch heraus, wie scheinbar banale Aktionen, wie das Schnüffeln am Wegrand, erste Anzeichen für seine inneren Konflikte sein können. Auslöser dafür gab es viele: ein Passant, der uns auf dem engen Gehweg überholt, ein Kind auf einem Tretroller, ein Hund oder Mensch, der ihn mit Blicken fixierte, Gerüche … Die sachliche und professionelle Einschätzung der Hundetrainerin war eine große Erleichterung für mich. Sie bestätigte mein Gefühl, wann mein Hund auslösen würde. Das gab mir Selbstsicherheit.

Aggression ist nicht gleichzusetzen mit „Gefährlichkeit“

Im Laufe der Zeit, habe ich wenige Fachleute getroffen, die die Gefährlichkeit von Hunden richtig einschätzen können. Der Begriff „Gefährlichkeit“ wird fälschlicherweise oft synonym mit Aggression verwendet. Aggression gehört zum normalen Verhaltensrepertoire von Hunden. Damit verbinden wir in der Regel Drohverhalten, gebleckte Zähne, Knurren und lautes Bellen.

Wie wird Gefährlichkeit per Gesetz definiert?

Der Paragraph zwei (§2) der Polizeiverordnung des Innenministeriums und das Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde in Baden-Württemberg definiert gefährliche Hunde so:

Gefährliche Hunde sind insbesondere Hunde, die

  1. bissig sind
  2. in aggressiver und gefahrdrohender Weise Menschen oder Tiere anspringen oder
  3. zum unkontrollierten Hetzen oder Reißen von Wild oder Vieh oder anderen Tieren neigen.

Gefährlichkeit bei Hunden aus verhaltensbiologischer Sicht

Die Fachtierärztin für Verhaltenskunde Dr. med. vet. Ines B. Lauinger setzt für die Gefährlichkeit von Hunden folgende Kriterien an:

  • kurze aggressive Kommunikationsspanne (kurzes Drohen oder gar kein Drohen)
  • leichte Erregbarkeit (viele Auslösereize)
  • fehlende Beißhemmung (Verletzung der Hautoberfläche in unterschiedlicher Ausprägung: von leichten Spuren bis hin zur vollständigen Gewebszerstörung)

Mein Hund ist (k)ein gefährlicher Hund.

Die Kriterien beider Definitionen erfüllt mein Hund zum Teil schon. Indem er durch mehrere vorangegangene Situationen Spannung aufbaut, droht er nur sehr kurz und löst dann schnell aus. Er ist sehr leicht erregbar und je nach Erregungsgrad lässt die Beißhemmung nach. Man merkt das z. B. daran, wenn er sich ein Leckerli abholt und in die Finger zwickt. Auslösereize gibt es viele. Sie müssen nicht unbedingt von Menschen oder anderen Hunden ausgehen. Für den dünnfelligen Windhund reicht ein Temperatursturz von 5 Grad, eine Wildspur oder ein startender Vogel auf dem Feld.

Ich kann meinen Hund richtig einschätzen…

Das alles zu sehen und die Verbindung zu erkennen, war ein langer Weg für uns. Indem ich mir und meiner Einschätzung wieder zu vertrauen lernte, konnte ich schließlich auch meinem Hund wieder vertrauen. Das heißt nicht, dass ich ihn immer und überall laufen lasse. Nein! Aber ich kann ihn besser verstehen und ihm konstruktive Alternativen anbieten. Meine Angst zeigt mir, wenn es brenzlig werden könnte. Sie ist nicht übertrieben, im Gegenteil weist sie mich doch auf potentielle Gefahren hin.

… und ihm konstruktive Alternativen anbieten.

Neben Elementen aus dem Hundetraining, wie z. B. Markertraining* (*Affiliate-Link), ist Hundephysiotherapie eine hilfreiche Unterstützung für ihn. Damit werden seine schmerzhaften Verspannungen behandelt und vorgebeugt. Eine Wintermantelkollektion gehört schon länger zu seiner Grundausstattung. Beim Tierarzt und wenn’s kurzfristig unangenehm eng wird, haben wir auch eine Maulschlaufe dabei.

Was wir im Umgang mit „gefährlichen Hunden“ lernen können

Mein Hund ist mittlerweile 13 Jahre alt und lässt sich nicht mehr allzu leicht aus der Ruhe bringen. Zum Glück hat sich so eine Situation wie die im Hausflur nicht wiederholt, dafür gab es noch andere. Mehrfach waren wir dabei auch die Leidtragenden. Einmal wurde Cosmo sogar schwer von einem anderen Hund gebissen. Ja, Hundehaltung ist gefährlich, so gefährlich wie das Leben selbst. Aber im Umgang mit meinem Hund konnte ich auch lernen, Selbstvertrauen aufzubauen, Gefahren realistisch einzuschätzen und bewusst mit ihnen umzugehen.

Welche gefährlichen Situationen hast du mit deinem Hund erlebt? In den Kommentaren kannst du deine Erfahrungen mit mir teilen.

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